Ein ganz normaler Donnerstagabend. Ich sitze am Schreibtisch und erledige, wie man so schön sagt, „Bürokram“. Zwischen all den Rechnungen, Verträgen, Briefen fällt mir plötzlich meine Rede in die Hände, die ich vor einiger Zeit bei einer Trauerfeier gehalten hatte.
Sofort sind die Erinnerungen, Gedanken und Gefühle an diese sehr emotionale Abschiedsfeier wieder da. Bewegt davon, hatte ich dann auf dem Heimweg ganz bewusst einen Wunsch für mich formuliert.
Im Januar durfte ich die Trauerfeier einer Verstorbenen begleiten, die genauso alt war wie ich. Einer Frau, die wie ich noch ganz viele Träume, Wünsche und Pläne hatte. So wollte sie im Frühjahr die Hochzeit ihres Sohnes feiern. Sie wollte ihre beiden Enkelkinder aufwachsen sehen, den begonnenen Teppich für das Wohnzimmer zu Ende knüpfen. Sie hatte für den Herbst gemeinsam mit ihrem Mann eine längere Reise geplant.
Und dann kam der Tag des Unfalls. Und von einer Sekunde auf die Andere war nichts mehr so wie es vorher war.
Im Trauergespräch versprach ich den Angehörigen, den Tag des Abschieds liebevoll und wertschätzend zu gestalten. Ich versprach ihnen, frei von Pathos noch einmal mit ihnen gemeinsam auf die miteinander gelebte Zeit zu blicken, das Leben ihres Herzensmenschen zu würdigen und auch zu feiern. Wir besprachen den Ablauf der Zeremonie, suchten die Lieblingsmusik aus. Sie erzählten mir aus dem Leben der Verstorbenen, zeigten mir Fotos, auf denen ich eine kraftvolle lebensbejahende Frau sah.
Ich hatte mich auf den Tag, auf die Zeremonie, gut vorbereitet. Es war mein großer Wunsch, die Verstorbene während der Trauerfeier noch einmal ganz bewusst in unsere Mitte zu holen.
Als ich die Trauerhalle betrat, spürte ich sofort die unfassbare Traurigkeit und den großen Schmerz der Angehörigen, ihre Hilflosigkeit und ihre Wut über das, was passiert war. Bei meinen ersten Sätzen hatte ich einen richtig dicken Kloß im Hals.
Während meiner Rede für die Verstorbene sah ich, wie ihr Ehemann die Augen oft geschlossen hielt. Ich sah seine Tränen, aber auch, dass er hin und wieder lächelte und zustimmend nickte.
„JEDER MENSCH HAT (S)EINE GESCHICHTE,
DIE LIEBEVOLL ERZÄHLT WERDEN MAG.“
– BETTINA MANUELA HAMBUCH –
Als ich meine Rede beendet hatte, öffnete der Ehemann die Augen. Er blickte zu mir, nur wenige Sekunden. Dann stand er plötzlich auf. Langsamen Schrittes ging er auf mich zu. Er reichte mir die Hand und sagte leise: Danke.
Diese Geste berührte mich sehr, so sehr, dass mir die Tränen kamen.
Als ich später wieder im Auto saß, verspürte ich das große Bedürfnis, schnell nach Hause zu fahren, um meine Liebsten ganz fest in die Arme zu schließen.
Noch während der Fahrt dachte ich darüber nach, wie oft ich mich über Kleinigkeiten ärgere, hadere, wenn mir etwas nicht so gelingt, gar sauer mit mir bin, wenn ich nicht alles schaffe, was ich mir vorgenommen habe.
Klar hätte ich in diesem Moment beschließen können, dass ich das sofort ändern werde, dass ich dankbarer und achtsamer bin, weniger ärgerlich, geduldiger mit mir und meinen Mitmenschen.
Aber könnte ich mich so schnell ändern? Oder bliebe es doch nur ein guter Vorsatz, der schnell im Alltag verpufft, entstanden aus diesem Tag heraus?
Ich beschloss etwas anderes. Und genau das schaffe ich inzwischen tatsächlich besser als noch im Januar. Ich gönne mir ganz bewusst kleine Pausen, halte in stressigen Situationen inne und wechsle dabei hin und wieder auch die Perspektive.
Ich schaue liebevoller auf mich. Ich schaue liebevoller auf mein Leben. Denn das ist genau richtig, so wie es ist!
Eure Bettina Manuela Hambuch